Dienstag, 20. Januar 2009

sz-online - Lust auf Lust im Lampenlicht


 


gesehen am 19.1.2009 - 19.30 uhr - schauspielhaus dresden




sz-online, 19.01.2009:

lust auf lust im lampenlicht

Von Valeria Heintges


Die Lampen spielen eine Hauptrolle. Zwei davon baumeln im Dresdner Schauspielhaus hin und her wie übergroße Pendel einer Standuhr. Alle zehn schwingen in der Luft, als fegte ein Sturm durch die Oberbühne. Sie formen sich zu einem glutroten "W" und fahren gesammelt hoch, als der arme junge Herr sein Problem überwindet und endlich seinen Mann stehen kann. Das Süße Mädel bindet drei Lampionschlangen quer über die Bühne, als wollte sie eine Gartenlaube dekorieren. Am Ende ist die Bühne mit unzähligen Lämpchen hell erleuchtet, und die zehn Schauspieler stehen oben an der Rampe und pusten ihr Lichtlein an.

Ein Dekalog der Liebe, der Leere

Zehn Lampen, zehn Schauspieler, die sich zu zehn Paaren formen, zehn Musiker, zehn Szenen - ein Dekalog ist der "Reigen", Schnitzlers Werk über die Lust, die Leidenschaft, die Liebe, die Leere. Zehn Personen aus allen Teilen der Gesellschaft, die sich begehren und betrügen: Dirne, Soldat, Stubenmädchen, junger Herr und junge Frau, Gatte, Süßes Mädel, Dichter und Schauspielerin bis zum Grafen. Welche Ironie, dass der am Schluss den Reigen komplettiert und die Dirne besucht. Zehn Spielchen rund um den Geschlechtsakt, um das Geziere und Gezerre davor, das peinlich berührte Schweigen, die Scham und die Müdigkeit danach.

1920 war das Stück ein Skandal, eine Klage vor Gericht wert. 89 Jahre danach macht Regisseur Paolo Magelli mit seinem kongenialen Bühnenbildner Jean Bauer und Kostümdesigner Leo Kulas daraus ein hoch amüsantes und gleichzeitig abgrundtief trauriges Drama, das sichtlich auch den Schauspielern Spaß macht und vor genialen Einfällen nur so strotzt. Da könnte man zum Beispiel die Inszenierung der hervorragenden Musiker der Dresdner Dampferband beschreiben, die in den Logen sitzen, an der Rampe stehen oder wie Zuschauer dem Dichter und der Schauspielerin im Theater zusehen. Und mal augenzwinkernd ein Stück spielen, das wie Ravels "Bolero" klingt - wie oft wird der zum Untermalen des Geschlechtsakts genutzt.

Da verwickelt sich das Stubenmädchen (Marianna Linden) im Staubsaugerschlauch, da schlägt es gemeinsam mit dem jungen Herrn in Übersprungshandlung auf die Betten ein, thronen die junge Frau und ihr Gatte (Dirk Glodde) auf den Matrazen, als wären sie je allein auf hoher See unterwegs. Der Dichter (Daniel Minetti) brütet existenzialistisch über seinen Werken und spachtelt dann die Schauspielerin (Hannelore Koch) mit grüner Farbe ein, wie ein Bildhauer, der sich eben eine Muse erschafft. In dem Paar zeichnet sich Schnitzler mit der Schauspielerin Adele Sandrock. Es ist das scheinbar abgeklärteste Duo von allen, gibt vor, illusionslos das Leben zu durchschauen. Doch sie sinkt als einzige in die Knie, um zu beten, und er huldigt unbestritten dem großen Gott des Ruhms.

Unbestrittener Höhepunkt die Szene von junger Frau und jungem Herrn, die zu einem Heimspiel für Christine Hoppe und Ahmad Mesgarha wird. Im schwarzen Pelzmantel verkörpert sie diese Mischung aus Scham und Verruchtheit, die ihm, als er im entscheidenden Moment versagt, plötzlich nur noch höhnisch vorkommt. Köstlich der Dialog - purer Schnitzler! - in dem sie um den heißen Brei herumnavigieren und sich ordentlich daran die Füße verbrennen.

Doch in allen Szenen zeigt sich, dass in der menschlichen Lust auf Lust auch tiefste Tragik verborgen ist. Mag sich auch manches in den letzten 89 Jahren verändert haben, bleibt der Mensch in seiner Suche nach Zweisamkeit, nach Nähe und Liebe doch ein bemitleidenswertes Geschöpf. Alle diese Paare suchen den Einzigen, und alle sind sie auf dem Weg zur nächsten Liebschaft. Keiner, der nicht fragt: "Liebst du mich?" oder "Hast du noch wen anders gern?", alle hoffen, wenigstens so ein bisschen einzigartig zu sein.

Und alle werden sie enttäuscht, alle hinterher müde, viele schlafen ein - der Gatte bekommt zur Gaudi des weiblichen Publikums kaum noch ein Wort heraus, bevor er einpennt. Auch sind alle unter Zeitnot, müssen zur Arbeit, zum nächsten Termin oder einfach rasch den oft so deprimierenden Tatort verlassen. Getrieben von der Hoffnung, dass, wenn sie heute das Glück noch nicht gefunden haben, es wenigstens morgen kommt. Oder übermorgen. Oder nächste Woche.

Wieder 19., 23., 31.1., 6., 21., 21.2., 31.3.

Kartentel. 0351/ 491 35 55




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