zum 200. geburtstag von nikolai gogol liest albrecht goette dessen wohl bekannteste und einflussreichste erzählung "der mantel" in der übersetzung von sigismund von radecki
Inhaltsangabe
Ein kleiner Beamter in Petersburg schreibt täglich Akten ab; er führt ein eintöniges, stumpfsinniges Leben, ist aber glücklich. Seine Kleider sind so abgeschabt, dass er den Spott seiner Kollegen auf sich lenkt. Eines Tages friert es ihn in seinem alten Mantel. Er geht zum Schneider, weil das Kleidungsstück an einigen Stellen durchgewetzt ist. Aber der Schneider sagt, da wäre nichts mehr zu machen, er solle sich einen neuen schneidern lassen. Das würde 150 Rubel kosten.
Akakij Akakijewitsch, so heißt der Beamte, handelt ihn auf 80 Rubel herunter, und spart sich das Geld vom Munde ab. Aber er wächst an seinem Ziel, denkt Tag und Nacht an den neuen Mantel. Schließlich ist es soweit: Voll Stolz geht zum ersten Mal damit ins Büro und wird von seinen Kollegen eingeladen, um das Ereignis zu feiern.
Akakij geht zu der Feier, trinkt ein paar Gläser Sekt und macht sich dann, da er sich langweilt, auf den Heimweg. In der Dunkelheit wird er von ein paar Räubern überfallen; der Mantel wird ihm geraubt. Ganz zerschunden und halb erfroren kommt er heim. Am nächsten Tag geht er auf Hinweis eines seiner Kollegen zu einer "bedeutenden Persönlichkeit", einem General, der sich dafür einsetzen soll, dass der Mantel wiedergefunden wird. Aber der General weist Akakij in schroffem Ton ab. Verzweifelt läuft Akakij heim. Er wird krank, und stirbt nach wenigen Tagen.
Nach seinem Tode erscheint in der Stadt Akakij als Gespenst und raubt Fremden die Mäntel. Auch den General sucht er heim, und der ist so eingeschüchtert, dass er sich ändert, seine barsche Art mildert. Das Gespenst wird dadurch friedfertig und verschwindet.
Interpretation
Die rund 30 Druckseiten lange Erzählung "Der Mantel" ist eine Allegorie auf die russischen Hoffnungen auf ein besseres Leben. Der Mantel macht Akakij zu einem anderen Menschen. Der kleine Beamte wird selbstbewusst, verändert seinen Lebensstil. Doch sein neues Glück dauert nicht länger als 24 Stunden an.
Erzählt ist die Geschichte aus traditionell-auktorialer Perspektive. Der Erzähler tritt sogar in Ich-Form auf, entschuldigt sich für seine Vergesslichkeit und unterbricht sich zuweilen. Er kennt auch die Gedanken und Gefühle der handelnden Personen.
Die Geschichte ist in einem lustigen Ton geschrieben. Diesen verdankt sie dem senilen Erzähler, seiner Vergesslichkeit und seinen vielen Abschweifungen, die an Lawrence Sternes "Tristram Shandy" denken lassen. Die Geschichte geht zwar "russisch-schwermütig" aus, ist eigentlich mit dem Tod Akakijs beendet. Doch der Erzähler fügt ein phantastisches Nachspiel an, das möglicherweise seiner eigenen Phantasie entstammt.
Gogol lässt den Leser schwanken zwischen Mitleid und Lachen. So erweckt die Verzweiflung Akakijs nach dem Herunterputzen durch die bedeutende Persönlichkeit Mitleid. Kurz danach wird die schwere Krankheit Akakijs dagegen humoristisch kommentiert: "So stark wirkt bisweilen eine dienstliche Rüge!". "Dank der großherzigen Unterstützung des Petersburger Klimas nahm die Krankheit einen rascheren Verlauf, als zu erwarten stand." Offenbar parodiert Gogol den depressiv-naturalistischen Stil, für den die russische Literatur bekannt ist.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen